Donnerstag, 1. Januar 2009

Heimweg

Es sind schlechte Zeiten für den Sensenmann.

Ich hatte eine Einladung zu einer Motto-Party: Heaven vs. Hell, und eigentlich überhaupt keine Lust, dort hinzugehen, und schon gar keine Lust, mich dazu zu verkleiden.
Da ich aber unbedingt einige meiner Bekannten dort treffen wollte, griff ich zu folgender, absoluten Notlösung: Der alte Bundeswehr-Parka mit Kapuze aus der hintersten Ecke meines Schranks und die alte Sense aus dem Garten meines Vermieters, die schon seit Jahren an der Hauswand gelehnt haben mußte, mit ihrer langen, geschwungenen, schon Rost ansetzenden Klinge.
Der Sensenmann machte sich also zu Fuß auf den Weg zur Party, die Sense geschultert und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, da es zu regnen angefangen hatte.
Schon an der ersten Kreuzung wird ein Kind auf mich aufmerksam, das seiner Mutter zurief:
„Guck mal, der Mann hat aber eine komische Schere!“, worauf die Mutter das Kind an der Hand wortlos und erschreckt zur Seite zog.
An der zweiten Kreuzung kam mir ein silber-grüner Kastenwagen der Freunde und Helfer entgegen, die mich bemerkt haben mussten. Jedenfalls drehten sie um und fuhren nochmals mit ungläubigen Blicken an mir vorbei, mich verwundernd musternd. Schon drehten sie ein zweites Mal um, um fuhren ein drittes Mal an mir vorbei, dieses Mal angeregt mit ihren Kollegen über das Funkgerät kommunizieren, noch immer mich verwundernd musternd. Den Kastenwagen, stellten sie mir mitten in den Weg, als ich über die Straße queren zu beabsichtigen gedachte.
Frage des ersten Freunds, verwundernd musternd:
„Was machen Sie da?“
„Das sehen Sie doch, Ich gehe spazieren.“
Frage des zweiten Freunds, verwundernd musternd:
„Ja, das sehen wir, aber was machen Sie mit der Sense?“
Eigentlich möchte ich der Straßenverkehrsordnunstunte sagen:
„Ich gehe jetzt auf eine Motto-Party, Amok laufen.“
Stattdessen sage ich doch lieber:
„Ich habe sie mir von einem Freund ausgeliehen und möchte sie jetzt zurückbringen.“
Helfer 1:
„Was haben Sie mit der Sense gemacht.“
„Kleine Kinder geschlachtet“
Doch stattdessen:
„Eine Wiese gemäht, die an einem Hang liegt, der zu steil für den Rasenmäher ist.“
Helfer 2:
„Wie weit ist es zu diesem Freund.“
„Nicht mehr weit.“
Wieder der, nicht mehr verwundernd, sondern fragend musternde Helfer 1:
„Und sie gehen auch direkt dort hin und geben die Sense dort ab?“
„Ja.“

Es sind schlechte Zeiten für den Sensenmann.

Irgendwann morgens, vielleicht so gegen drei Uhr, befand ich mich auf dem Nach-Hause-Weg von der Party, die auf der ich nicht viel zu tun hatte, als mich zu amüsieren.
Wieder trug ich die Sense geschultert, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, denn jetzt regnete es nicht nur, sondern es war auch noch dunkel und kalt.
Auf dem Gehweg kam mir ein Mann entgegen, mit Springerstiefeln, einer Bomberjacke über den breiten Schultern und einer sauber gescheitelten Glatze über dem grimmigen NPD-Gesicht. An einer kurzen Leine ein Bündel Muskeln mit gebleckten Zähnen und ohne Maulkorb, laut hechelnd in einer Form, die manch einer als Hund klassifizieren zu belieben gedachte. Oder: Ein Pitbull, der dem Sensenmann Angst machte. Nicht zuständig für die Beförderung von nicht selbst denkenden Kampfmaschinen begann der Sensenmann die Straßenseite zu wechseln, zu seiner eigenen Sicherheit.
Doch im gleichen Augenblick begannen auch die weißgeschnürsenkelten Stiefel das gleiche zu tun, offenbar aus dem selben Beweggrund, so daß beide, der kapuzentragende Sensenmann und die Bomberjackengestalt unter einer Straßenlaterne in der Mitte der Straße zusammentrafen und schweigend voreinander zum Stehen kamen.
Dem Sensenmann fiel lediglich ein, ein gepresstes „Guten Abend“ zwischen den Zähnen hervorzustoßen und das Gegenüber zu umrunden, um den Heimweg inmitten der Straße fortzusetzen.

Es sind schlechte Zeiten für den Sensenmann.

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